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Krebsclusteruntersuchung in der Samtgemeinde Bothel

Krebsclusteruntersuchung in der Samtgemeinde Bothel

In der zur Samtgemeinde Bothel (Landkreis Rotenburg) gehörigen Gemeinde Hemslingen kam 2013 bei Einwohnern der Verdacht einer Häufung von Krebserkrankungen auf. Als mögliche Ursache wurde die lokale Kohlenwasserstoffförderung benannt. Daraufhin bildete sich unter Leitung des kommunalen Gesundheitsamtes ein Arbeitskreis, dem Vertreterinnen und Vertreter von Bürgerinitiativen, dem niedersächsischen Sozialministerium, dem Landesgesundheitsamt, dem Epidemiologischen Krebsregister Niedersachsen (EKN) sowie dem örtlichen Gesundheitsamt angehörten. Auf Grundlage der Besprechungsergebnisse dieses Arbeitskreises fragte der Landkreis Rotenburg nach regionalen Sonderauswertungen zur Häufigkeit verschiedener Krebsdiagnosen zunächst für die gesamte Samtgemeinde Bothel und anschließend auch für benachbarte Regionen beim EKN an.

Diese Auswertungen führten zur Identifizierung eines spezifischen Krebsclusters. In der Folge wurden sowohl von kommunaler als auch von Landesseite Maßnahmen ergriffen, um mögliche Ursachen dieses Krebsclusters einzugrenzen.

Ergebnisse der Auswertungen des EKN

Für die Diagnosejahre 2003 - 2012 wurde vom EKN rund eine Verdopplung der aufgetretenen hämatologischen Krebsneuerkrankungen bei Männern in der Samtgemeinde Bothel festgestellt (41 Fälle), die anderen untersuchten Krebsdiagnosegruppen waren statistisch unauffällig. Auch in der benachbarten Stadt Rotenburg erwiesen sich die hämatologischen Krebserkrankungen bei Männern als erhöht, wenngleich in einem deutlich geringeren Maße als in der Samtgemeinde Bothel. Andere Nachbargemeinden wiesen allerdings keine Erhöhungen auf. Sowohl in der Samtgemeinde Bothel als auch in der Stadt Rotenburg war innerhalb der hämatologischen Krebserkrankungen das „Multiplen Myelom" besonders erhöht.

Weitere Informationen auf der Internetseite des EKN

Befragung der Bürgerinnen und Bürger der Samtgemeinde Bothel

Bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung des Berichtes des EKN zu den vermehrten hämatologischen Krebserkrankungen bei Männern wurden alle Bewohner der Samtgemeinde Bothel über 16 Jahre zu eigenen hämatologischen Krebserkrankungen und zu denen von verstorbenen Angehörigen befragt worden, um nach möglichen Erklärungsmustern für diese gehäuft aufgetretenen Krebserkrankungen zu suchen.

Die schriftliche Befragung dauerte bis Anfang 2015 an. Sämtliche Angaben zu den Erkrankungen wurden daraufhin vom Gesundheitsamt überprüft und medizinisch validiert. Die in 2016 begonnene Auswertung der Ergebnisse der Befragung erfolgte in mehreren Schritten. Grundsätzlich sollte dabei nach Gemeinsamkeiten der Fälle gesucht werden, die die erhöhte Rate von Krebserkrankungen erklären könnten.

Die vom NLGA durchgeführte explorative Auswertung beinhaltete neben der Analyse der Wohn- und Arbeitsplatzhistorien von bis zu 30 Jahre vor Erstdiagnose auch Fall-Kontroll-Ansätze: Dabei wurden von Fällen wie von nicht erkrankten Einwohnern, den „Kontrollen", die Wohnabstände zu potentiellen Expositionsquellen (Erdgasförderanlagen, Bohrschlammgruben, holz- sowie metallverarbeitende Betriebe, Benzolemittenten, Pestizidausbringer) verglichen. Dabei ergaben sich Hinweise, dass die Fälle im Vergleich zu ihren Kontrollen räumlich dichter an Bohrschlammgruben oder auch an Erdgasförderanlagen wohnten.

Obgleich bei der gewählten explorativen Analysestrategie die gefundenen Assoziationen als eher schwach ausgeprägt angesehen werden sollten, wurde aufgrund der Public Health Relevanz seitens des NLGA eine umfängliche epidemiologische Studie empfohlen, um zu untersuchen, ob ein mögliches Risiko für hämatologische Krebserkrankungen mit der wohnlichen Nähe zur Kohlenwasserstoffförderung verbunden ist.

Link zur Internetseite des Landkreises mit weiteren Informationen

Epidemiologische Studie zur wohnlichen Nähe zur Kohlenwasserstoffförderung (sogenannte „Abstandsstudie“)

Mit einer derartigen Studie wurde im Dezember 2017 das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Klinikums der Universität München (LMU) beauftragt. Die Ergebnisse wurden am 18.12.2018 erstmalig vorgestellt: Die Studie basiert auf einem Fall-Kontroll-Ansatz: Hierbei werden die Daten von erkrankten Personen bzw. „Fällen“ mit denen nicht-erkrankter Personen, den „Kontrollen“, verglichen und untersucht, ob die Verteilung der potentiellen Risiken bei beiden Gruppen ähnlich oder unterschiedlich ist. Als Untersuchungsregion wurden 15 Landkreise ausgewählt, die im Wesentlichen den sich über Niedersachsen erstreckenden Gürtel an Erdgas-und Erdölförderung abdecken. Es wurden rd. 4.000 zwischen 2013 und 2016 erstmalig diagnostizierte Fälle aus diesem Gebiet mit rd. 16.000 zufällig aus den Einwohnermelderegistern gewählten Kontrollen verglichen.

Mit Blick auf die Hauptfragestellung der Studie konnte weder ein Zusammenhang der räumlichen Wohnnähe zu Schlammgruben(verdachtsflächen) noch zu allen Anlagen der Kohlenwasserstoffförderung (Erdgas- und Erdölförderanlagen zusammen betrachtet) nachgewiesen werden. Weitere ergänzende Analysen zeigen hingegen statistisch auffällige Zusammenhänge der räumlichen Wohnnähe speziell zu Erdgasförderanlagen auf, und zwar insbesondere bei Frauen, nicht jedoch bei Männern. Zudem war in einer spezifischen Auswertung für den Landkreis Rotenburg (Wümme) dieser Effekt zwischen Wohnnähe zu Erdgasförderstellen und hämatologischen Krebserkrankungen besonders ausgeprägt.

In Zusatzauswertungen wurde u. a. geprüft, inwieweit die für die Gesamtregion) gefundene Risikoerhöhung durch die Werte aus diesem Landkreis erklärt wird. Zudem wurde die Häufigkeit der hämatologischen Krebserkrankungen in räumlicher Nähe speziell zu Förderanlagen, an denen Fracking-Maßnahmen durchgeführt wurden, analysiert. Im Ergebnis ist die festgestellte Risikoerhöhung der Wohnnähe zu Standorten der Erdgasförderung nicht allein auf den Landkreis Rotenburg (Wümme) zurückzuführen. Die Wohnnähe zu Standorten, an denen Fracking-Maßnahmen durchgeführt wurden, zeigt zwar eine tendenzielle Risikoerhöhung, die jedoch statistisch nicht auffällig ist. Auch ist dieses Ergebnis nur sehr eingeschränkt interpretierbar, da nur eine sehr geringe Anzahl von Fällen und Kontrollen in der Nähe von solchen Standorten wohnt.

Statistischer Zufall, konkurrierende Expositionen oder auch spezifische, nicht allgemeingültige mit der Gasförderung verbundene Faktoren könnten diese bisherigen, nicht durchgängig konsistenten Beobachtungen wie auch die regionalen Unterschiede erklären. Insofern besteht noch weiter Forschungsbedarf. (siehe Berichte der LMU)

Link zur Internetseite der LMU München, u.a. mit FAQs zur Abstandsstudie

Human-Biomonitoring-Studie zur aktuellen Belastung der Bevölkerung in der Nähe zur Kohlenwasserstoffförderung

Parallel zur Abstandsstudie wurde vom Sozialministerium eine Human-Biomonitoring-Studie beauftragt. Hierbei sollte geprüft werden, ob Bewohner in der Nähe zu Erdgasförderanlagen in der SG Bothel aktuell stärker als Bewohner außerhalb der Förderregionen im Landkreis Rotenburg (Wümme) mit Benzol und Quecksilber belastet sind. Diese beiden toxischen Stoffe fallen typischerweise bei der Erdgasförderung an und können somit als Indikatoren für die Umgebungsbelastungen durch die Erdgasförderung angesehen werden. Hier fanden sich jedoch keine Unterschiede, so dass die Anwohnerinnen und Anwohner laut Studie aktuell keiner Benzol- und Quecksilberbelastung aus der Erdgasindustrie ausgesetzt sind. Eine Aussage zur Belastungssituation in der Vergangenheit, in der die späteren Krebserkrankungen in der Samtgemeinde Bothel ausgelöst worden sind, lässt diese Studie jedoch nicht zu.

Link zur Human-Biomonitoring-Studie

Krebsclusteruntersuchung
Berichte des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen (EKN)

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